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  • alkemartens

Was sind Mythen?


Mythen, Märchen, Fabeln, Legenden, Erzählungen, Fantasygeschichten... nicht nur als Autorin von Fantasyromanen gerät man munter und fröhlich von einem Genre ins andere. Und irgendwann ist dann der Zeitpunkte gekommen, an dem man sich fragt: was ist was? Diese Frage hat zumindest Kinder der 1970er Jahre schon sehr früh begleitet (alle, die ungefähr in meinem Alter sind und Zugriff auf Bücher hatten erinnern sich vielleicht noch an diese Kinderbuchreihe... :-) )

Fangen wir mal mit dem Begriff "Mythen" an.


Wenn man nach dem Wikipedia Eintrag zum Stichwort Mythen geht, dann ist ein Mythos eigentlich nur eine Erzählung oder eine sagenhafte Geschichte. In der Wahrnehmung vieler Menschen ist ein Mythos jedoch etwas anderes, als nur eine Erzählung: der Mythos stellt etwas dar, von dem die erzählende Person annimmt, dass es einen gewissen Wahrheitanspruch hat. Okay, die anschließende Frage ist dann sofort: was ist Wahrheit. Dennoch kann man überlegen, dass ein Mythos -- anders als ein Märchen -- geschaffen wurde, um eine Form der Wahrheit zu übermitteln. Dies erfolgte historisch zunächst per mündlicher Überlieferung, später dann auch in der Verschriftlichung, oft durch Priester oder andere Personen die im Schreiben gelehrt waren. Interessant ist dabei, dass über die Epochen seit der Antike Uneinigkeit darüber herrschte, was Mythen eigentlich sind und welche Bedeutung ihnen zukommt. Heute weiß fast niemand mehr, dass die Mythen der Antike durchaus nicht überall Ansehen als kulturell bedeutsame Wahrheitsdarstellungen genossen, sondern oft nur als poetische Form der Erzählung wahrgenommen wurden. Ein Mythos wäre entsprechend nur eine andere literarische Gattung. Im Mittelalter rutschten dann viele Mythen in den Bereich der Theologie, weil sie als Darstellungen anderer religiöser Sichtweisen galten (vor allem natürlich heidnischer nach damaliger Sichtweise). Religiös wurden sie entsprechend geahndet und zur puren Prosa herabgesetzt, die dann jedoch zur Belustigung gerne in Form von literarischen Werken, als Grundlage für Statuen und Gemälde oder auch als Blaupause von Opern oder neue Erzählungen verwendet wurden. Grade in der Renaissance und der Aufklärung entstand, so wird vermutet, eine breite Begeisterung für Mythen, insbesondere die alten griechischen, die sich dann in der Romantik noch weiter vertiefte und in vielen Teilen bis heute anhält.


Wenn man von der Sichtweise ausgeht, dass ein Mythos eine Form von kulturell tradierter Wahrheit darstellt, kann man Mythen nach dem unterscheiden, was sie beschreiben. Beispielsweise schildern kosmogene (oder auch kosmogone) Mythen die Entstehung des Kosmos und der Welt. Mythen dieser Art sind beispielsweise Isis und Osiris im alten Ägypten, oder auch der Welterschaffungsmythos der Inka. Wenn man tiefer in die Religionsgeschichte abtaucht, findet man in fast allen bekannten Kulturen Welterschaffungsmythen und etliche davon sind ziemlich ähnlich aufgebaut. Anthropogen Mythen erklären die Entstehung des Menschen. So ist beispielsweise Adam und Eva ein Mythos der christlichen Bibel, der dieses Thema darstellt. Weitere Kategorien sind Mythen zur Entstehung von Städten oder Naturphänomenen. Diese Art der Einteilung von Mythen ist jedoch relativ neu und erst in unserer Zeit entstanden -- generell gilt als Mythos, was als Erzählung einer übergreifenden Erklärung nahekommt, was bestenfalls sogar kulturübergreifend Gültigkeit oder Anerkennung erfährt. Mythen, so heißt es zuweilen, sind identitätsstiftend.

Insbesondere dieser Aspekt ist sehr spannend, wenn man den eigenen Kulturkreis anschaut. Spätestens seit Einführung der Idee der Archetypen durch die Psychologie von C. G. Jung ist die Rolle von Mythen für die Entwicklung der menschlichen Psyche (im Sinne von Seele) allgemein anerkannt. Mythos steht so im Gegensatz zu Logos (der das wissenschaftliche Denken repräsentiert) und soll auf Muster einer tieferen Seelenebene hinweisen. In diesem Sinne werden Mythen und Archetypen auch in der derzeit sehr aktiven Szene der modernen Spiritualität sehr gerne genutzt, um Verhalten zu erklären, Sinn zu stiften oder Abgrenzungen zu ermöglichen. Mythen geben aus dieser Perspektive menschliche Urängste und Urmuster wieder, sie zeigen rituelle Verhaltensweise und beinhalten oft auch den Aspekt der Hoffnung. Somit dienen sie als Muster für Lebensdeutungen und sind damit kultur - und offenbar auch zeitübergreifend, denn noch immer beziehen wir uns auf die alten Mythen...


ABER. Die Frage bleibt offen, was Mythen ursprünglich mal gewesen sind. Und wer wie in der ursprünglichen Form erzählt hat. So sind beispielsweise die Strukturen vieler Mythen auf patriarchalen Mustern basierend, was einen ganzen Zweig der Feminismusforschung dazu gebracht hat, viele bestehende Mythen nach Urmustern abzutasten und strukturell zu hinterfragen (beispielsweise die Werke von Heide Göttner-Abendroth). Dabei passiert nun folgendes: hinter den Mythen tauchen andere Muster auf. Die Muster der Mythen verschieben sich zu etwas, was aussieht, die eine (matriarchiale) Urform eines Mythos. Dieser wiederum hat die interessante Eigenschaft, dass er auch in sich hoch schlüssig und stimmig ist. Ebenso geraten Märchen durch Neuinterpretation zu Mythen, die anstelle platter Lebensorientierungen und Sittenlehre tiefe rituelle und spirituelle Handlungsmuster beschreiben. Sind dann Märchen auch Mythen? Oder ist die Urform eines Mythos eventuell ein Märchen? Dieser Frage wird an anderer Stelle nachgegangen.


Eine Meinung dazu muss sich jeder und jede selbst bilden. Aber für mich hat es etwas hoch befriedigendes, zu erkennen, dass es nicht immer die Göttinnen sind, die von tumben, irritierten oder volltrunkenen, noch dazu oft verkleideten Göttern vergewaltigt werden müssen, um dann entthront in der zweiten Reihe hinter dem Vatergott motzend den Weinausschank am griechischen Göttertisch verwalten zu dürfen (Vorsicht, sehr platte Vereinfachung und Überziehung zum Zwecke der Darstellung). Oder auch in Form von bettenschüttelnder alter Damen, die über den Erziehungsstatus keuscher Jungfrauen wachen und krasse Sittengemählde von Tugend und Untugend skizzieren.

An diese Stelle treten laut Heide Göttner-Abendroth dann urgewaltige Göttinnen, die in Glanz und Fülle ihre (heidnischen) Rituale in voller Blüte und voll Stolz feiern, und die leider irgendwann dem Patriarchat zum Opfer gefallen sind. Die Botschaft der Mythen wäre dann die Botschaft des Siegs des Patriarchats. Ich muss sagen, dass mir insbesondere Frau Holle als Mutter im göttlichen Sinne und Zentrum eines spirituell weiblichen Kultes wesentlich mehr zusagt und mich auch wesentlich mehr stärkt.


Aus dieser Perspektive bleibt der Mythos der Bericht einer kulturübergreifenden Wirklichkeit. Natürlich. Ebenso, wie es in unseren aktuellen Erzählweisen fast keine Frauen im Mittelalter oder in der frühen Neuzeit gab. Wo sollten sie denn sein? Die Ehefrauen von Herrschern, die Mütter, Frauen oder Schwestern von Kriegern, die weiblichen Verwandten von Forschern. Wenn ich als Forscherin in der Zeit zurückblicke, kann ich mich nur an Männern orientieren. Das irritiert und macht mich inzwischen nicht mehr glücklich. Irgendetwas ist da schief gegangen und ich weigere mich zu glauben, dass es einfach keine Frauen in der sogenannten Wissenschaft gegeben hat. Entweder hat jemand die Berichte tendenziös geschrieben, oder die Berichterstatter waren Männer, oder Frauen haben die ganze Zeit andere Ideen gehabt, als die der klassischen Wissenschaft.


Brauchen wir also neue Mythen, liebe Frauen?



Anmerkung: dies ist natürlich kein Blog einer Philologin, sondern nur der einer interessierten Wissenschaftlerin mit Schwerpunkt Informatik, also Ingenieurwissenschaften. Wer etwas über Mythen lernen möchte, schaut bitte in weiterführende Quellen - einen guten Überblick für den Einstieg gibt Wikipedia, oder auch Bücher von C.G. Jung bzw. Heide Göttner-Abendroth.


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